Mollis : 23 juni - 29 augustus (Familie Conrad in Wies)
Schindler,Conrad (1772-1857)
Schindler, Louise (1810-1882)
Abt-Schindler, Henriëtte Elisabeth (1812-?)
Schindler, Eduard (1817-1848) (begegnet in Oberstammheim
auf 28 und 29 juli 1825)
23. Juni 1854:
Mit einem aufgeregten Gemüt eilte ich, ohne einem meiner Bekannten zu begegnen, zur Wies, wo die Familie meines Onkels Conrad wohnt.
Ich wollte Onkel Conrad um Rat fragen, wo ich künftig wohnen könnte. Ich war durch das Gartentor, über den Hof bis zur Haustür gelangt. Was würde mich erwarten? Wie würde man mich empfangen? Was würde meine erste Begegnung sein? Solche Gedanken schossen mir durch den Kopf. Ich hatte ihnen über meine Ankunft nicht geschrieben. Zwar wussten sie nicht den genauen Tag, aber sie waren darüber informiert, dass ich kommen würde. Das Haus wirkte freundlich und war seit der Renovierung deutlich verschönert.
Ich klingelte, mein Herz pochte heftig. Wer würde öffnen? Über meinem Kopf hörte ich ein Fenster aufgehen. Ich blickte nicht nach oben; eine Stimme – es war Louise – fragte, was ich wolle. Ich schwieg. Ich hörte, wie sie drinnen mit dem alten Onkel und einer weiteren Person sprach. Doch es wurde nicht geöffnet.
Ich klingelte erneut, und wieder wurde ich – oder besser gesagt mein Staubmantel, mein langer Bart und mein kleines Barett – aus dem Fenster betrachtet. Man konnte mich nicht einordnen; ich sah für sie wohl aus wie ein Fremder, vielleicht jemand, der um Reisegeld bittet. Solche Leute kamen täglich vorbei.
Da ich weiterhin nichts sagte und nicht aufsah, dauerte es ein paar Minuten, bis auch ihre Schwester nachsehen musste. Schließlich fasste man Mut und Willen zum Handeln. Ich amüsierte mich köstlich über diesen unerwarteten Vorfall, den ich überaus komisch fand. Endlich öffnete sich die Tür, und ohne zu zögern stürmte ich die Treppe hinauf und stand plötzlich mitten unter ihnen. Mein Herz war erfüllt von Freude, und Tränen der Rührung traten mir in die Augen – vermischt mit dem Erstaunen darüber, wie alt mein lieber Onkel Conrad geworden war. Nach einem stillen Willkommenskuss brachen wir alle gleichzeitig in Gelächter aus. Sie begannen sich zu entschuldigen, dass sie die Tür nicht geöffnet hatten, und ich bat um Verzeihung, weil ich ihre Frage von oben unbeantwortet gelassen hatte.
Diese komische Begrüßung brachte uns immer wieder zum Lachen, und sie wird uns gewiss noch oft in Erinnerung kommen. Nachdem die ersten Worte des Willkommens gefallen waren, bildeten wir sogleich eine kleine Beratung, um zu entscheiden, wo ich unterkommen sollte. Sie boten mir an, bei ihnen zu wohnen – aber eben „wie es gerade geht“. Trotz ihrer ehrlichen Absicht musste ich dieses Angebot ablehnen. Ich wollte niemandem zur Last fallen, denn mein Aufenthalt würde länger dauern, und ich wusste, dass sie nicht an Gäste gewöhnt waren. Außerdem hätten sie sich zu sehr bemüht, und ihr Tagesablauf wäre gestört worden. Man meint hier, man müsse ganz anders leben, wenn Besuch aus dem Ausland im Haus ist.
Als sie sahen, dass ich fest entschlossen war, gaben sie nach und fanden es schließlich ebenfalls eine gute Lösung, dass ich im Gasthof „l’Ours“ wohnen würde – unter der Bedingung, dass ich so oft wie möglich zu ihnen käme, um mit ihnen zu essen und zu trinken. Damit war die Angelegenheit geklärt. Das Dienstmädchen wurde zur Post geschickt, um mein Gepäck ins „l’Ours“ bringen zu lassen, mit der Mitteilung, dass der Herr dort logieren werde.
Nun möchte ich damit beginnen, meine Familienangehörigen so zu beschreiben, wie sie mir beim ersten Eindruck erschienen – denn der erste Eindruck ist oft der natürlichste, wenn auch das spätere Urteil sich manchmal noch ändert.
Mein guter Onkel Conrad, ein Greis von 82 Jahren, war in letzter Zeit gesundheitlich nicht besonders gut dran und litt an Magenbeschwerden. Wie ich bereits erwähnte, war er stark gealtert und abgemagert – so sehr, dass ich ihn an einem fremden Ort wohl kaum erkannt hätte. Merkwürdigerweise aber verschwand dieser fremde Eindruck allmählich, nachdem ich ein paar Tage täglich mit ihm verbracht hatte. Der Unterschied zu früher erschien mir dann längst nicht mehr so groß.
Louise sah gut aus, und obwohl siebzehn Jahre vergangen waren, war sie immer noch dieselbe fröhliche Louise. Selbst die nervösen Züge, mit denen sie schon lange zu kämpfen hatte, fielen mir weniger auf als früher – und weniger als ich erwartet hatte.
Ihre Schwester, die sanfte und liebe, gutherzige Henriette, seit einigen Jahren Witwe nach einer kurzen, aber glücklichen Ehe, war noch immer die Güte in Person. Sie wirkte mager und etwas kränklich, oft auch in sich gekehrt. Auch sie war glücklich, dass ihr Vetter, der Arzt aus Holland, nun bei ihnen war. Früher kannten wir uns sehr gut und hatten einander herzlich gern.
Und dann war da ihre Tochter Fanny, ein zwölfjähriges Mädchen, bereits ziemlich groß, aber nicht besonders hübsch – nein, gewiss nicht schön. Als Einzelkind war sie ein wenig verwöhnt, doch wissbegierig, gehorsam und von sehr empfindsamer Natur.
Das Dienstmädchen D., ein 19-jähriges Mädchen, war ein liebes, sanftes und freundliches Wesen, etwas kindlich, aber willig und hilfsbereit.
Das war also die Familie, in der ich nun den größten Teil meiner Zeit in Mollis verbringen sollte. Und in diesem Haushalt habe ich viele angenehme Stunden erlebt – und, wie ich glaube, auch ihnen manch heiteren und frohen Moment bereitet.
Während ich von unserer Familie erzählte und von den Verwandten in Ländli hörte, wurde Essen und Trinken zubereitet. Beim gemeinsamen Mahl saßen wir in so vertrauter Runde beisammen, als wäre ich unter meinen eigenen Schwestern. Ich musste von meiner Reise berichten, von Zürich, von Aarau und von vielem mehr.
Mit dem guten Onkel, meinem früheren Weggefährten auf so manchen Ausflügen, sprach ich über unsere alten Wanderungen. Zu meinem Erstaunen stellte ich fest, dass sein Gedächtnis noch erstaunlich scharf war. So vergingen beim Erzählen und Zuhören ein paar äußerst angenehme Stunden. Schließlich, müde von der Reise und vom vielen Reden, verabschiedete ich mich um halb zehn von ihnen.
Mollis: 26. juli 1825
Schindler, Dietrich (1775-1840)
Zwicky, Anna Katharina (1774-1840)
Leuzinger-Schindler, Lucie (1803-1831)
26. juli 1825; Deutsche Übersetzung:
Während ich noch unentschlossen hin- und herging, unsicher, ob ich an diesem Tag überhaupt aufbrechen sollte — denn wenn ich es heute nicht tat, würde der Ausflug überhaupt nicht mehr stattfinden — hörte ich, wie das in solchen Situationen oft geschieht, von dem einen, das Wetter würde schön, ein anderer meinte, es würde noch besser, und ein dritter prophezeite eher ungünstiges Wetter.
Als ich um halb zwei kurz bei Onkel Dietrich vorbeischaute, der ganz in der Nähe meiner Unterkunft wohnte, begann sich der Himmel plötzlich aufzuklaren. Ein Funken Mut flammte wieder in mir auf. Der Regen hörte auf, und um drei Uhr beschloss ich, aufzubrechen. Ich eilte zurück in mein Zimmer, warf einen Blick auf das Barometer und sah zu meiner Freude, dass es gestiegen war. Nichts konnte mich jetzt noch aufhalten.
Ich packte rasch die letzten Dinge in meinen Koffer und verabschiedete mich, vollständig abreisefertig, von meinen Hausbewohnern – auch von dem kleinen Zimmer, in dem ich so viele angenehme Stunden verbracht hatte. Ich nahm Abschied von einem Ort, an dem ich mit großer Freude geweilt hatte und wo ich, den Umständen und der Eigenart des Landes entsprechend, sehr gut gelebt hatte.
Mein Wirt, bei dem ich im Logis gewohnt hatte, wollte mich begleiten. Auch Onkel Dietrich und Tante, zusammen mit ihrer Tochter, meiner Cousine Lucie, begleiteten mich bis nach Oberurnen.
[…]
Unser Gespräch – bei jedem Schritt immer wieder unterbrochen – verlief ganz natürlich und drehte sich um die Tage, die wir dort gemeinsam verbracht hatten, und um die Hoffnung, einander wiederzusehen.
So wanderten wir, in Gedanken versunken, weiter, bis wir Oberurnen erreichten – den Ort, an dem wir Abschied nehmen mussten. Es war ein Abschied voller Wehmut und Tränen. Ich musste feierlich versprechen, in vier Jahren zurückzukehren. Mit einem letzten Kuss verabschiedeten sich alle von mir – außer Cousine Lucie, die mich noch bis nach Bilten begleitete.
August 1854:
Nun kam noch mehr hinzu, als ob es so sein musste; ich war zu einer Tasse Kaffee bei Cousin Schlosser Jacob Schindler eingeladen worden. Trinken und essen musste man, und anschließend gab es Wein, Kuchen, Brot und Käse zum Abschluss; das war für meinen halb verstimmten Magen doch zu viel, der mir dann auch eine verdauungslose Nacht bescherte.
Zürich : 15, 18, 19, 21, 22 und 27 juni, 30 und 31 aug. 1854
Schindler, Johann Heinrich ( 1796-1867). Er wohnte mit seinem Sohn Konrad (1825-1865) in Zürich, kam aber oft zu Familienbesuchen nach Mollis.
Mollis : 4, 8, 17, 24 und 25 aug. 1854
Schindler, Johannes (1805-1880) und seine ebenfalls unverheiratete Schwester Anna (1808-1840)
Jan sprach auch viel mit ihrem Bruder Jacob über das Zugrecht, das sie auf das Haus Unterkirchen hatten (siehe Streiff):
Mollis : 29 juni, 17 und 25 aug. 1854
Schindler, Jacob (1815-1890); Er war verheiratet mit Zwicky, Elsbeth (1813-1885)
8. August 1854, Johannes Schindler
Anschließend ging ich zu Vetter J., um meine Uhr abzuholen, die er vollständig erneuert hatte. […]
Bei Vetter Johannes Schindler wollte ich noch einmal wegen des vielbesprochenen Zugrechts vorsprechen, obwohl ich kaum Hoffnung hatte, ihn davon zu überzeugen. Es schien mir eine klassische Frage von qu’un tiens vaut mieux que deux tu l’auras – besser ein Spatz in der Hand als eine Taube auf dem Dach.
29 juni 1854: Jacob Schindler
Ich wollte meinen Vetter Johannes Schindler besuchen, aber er war nicht zu Hause. Daraufhin ging ich zu seinem Bruder, Jakob Schindler, der in derselben Gegend wohnt. Wir sprachen über familiäre und gemeindliche Angelegenheiten, über die er stets die besten Informationen besitzt. Er kennt die Verhältnisse innerhalb der Familie – ja, der ganzen Gemeinde – so gut, dass viele sich an ihn wenden, wenn sie etwas über vergangene Zeiten oder Erbschaften wissen möchten. Er führt sogar eine Art Geburtenregister aller Familien, das bis zu 200 Jahre zurückreicht. Seine Mutter, meine Tante Anna Katharina Zwicky, war schon zu Lebzeiten die Auskunftsstelle des ganzen Dorfes.
Mein Vetter Jakob ist mit Elsbeth Zwicky verheiratet, und sie haben nur einen Sohn. Seine Frau trägt so deutlich die typische Zwicky-Physiognomie, dass ich sie sofort als Angehörige der Familie aus Vierlingsbeek erkannte.
Es ist bedauerlich, dass Jakob keine wissenschaftliche Ausbildung erhalten hat, denn er hätte sicherlich einen wertvollen Beitrag leisten können. Sein Urteilsvermögen ist scharf, wenn auch manchmal etwas begrenzt. Er wäre ein ausgezeichneter Altertumsforscher geworden.
27. Juni 1854
Deutsche Übersetzung:
Um halb zwölf (11:30) ging ich in die Fabrik zum Mittagessen, wo der Service heutzutage schlicht, aber gut ist.
Früher war ich mehrmals bei dieser Familie zu Besuch gewesen, wo man sich stets große Mühe gab – besonders bei den Diners, die endlos zu dauern schienen. Wir waren nur zu viert: eine Dame, Witwe eines Arztes, der hier einst eine gut gehende Praxis gehabt hatte, das Ehepaar des Hauses (Margaretha Streiff-Schindler und ihr Mann Johannes Streiff), und ich. Unser Gespräch war recht lebhaft; ich hielt an meinem optimistischen Blick auf die Welt fest – im Gegensatz zu den meisten Menschen hier, die meist eher pessimistisch sind. Besonders ihr Bruder, mein Schwager Johann Heinrich Schindler aus Zürich, ist sehr schwermütig, immer ernst und selten heiter.
Beide sind sehr aristokratisch – oder besser gesagt: stark geldfixiert. Sie glauben, Geld sei alles, und richten ihr Leben ganz auf dessen Erwerb aus. Das ist in dieser Gegend eine weitverbreitete Eigenschaft. Doch es fehlt ihnen an der Fähigkeit, Geld auf angenehme Weise zu nutzen; sie wissen schlicht nicht, wie man es genießt. Ein tief verwurzelter Egoismus überwiegt bei ihnen, und ihr Mangel an gesellschaftlichem Umgang hindert sie daran, die Freude am Beisammensein zu erfahren.
Auch den Kindern wird keine heitere Erziehung zuteil. Die Söhne besuchen meist Internate im Ausland und arbeiten später in weit entfernten Büros – so wird der Geist des Geldstrebens und der Absonderung schon früh gepflanzt und gepflegt.
Die Töchter verbringen einige Jahre in einer Stadtschule und kehren dann mit dem Kopf voller schöner, fremder Ideen zurück, jedoch ohne wirkliche Lebenserfahrung. Sie sind unbeholfen im Umgang mit dem Leben und werden sich darin wohl nie ganz zurechtfinden. Sobald sie über viel Geld verfügen, tritt ein Verehrer auf den Plan – natürlich einer mit Geld – und dann ist die Ehe rasch beschlossen. Die Ehe gründet sich auf Vermögen und wird mit Kapital abgesichert. Das Paar reist in ferne Länder, meist große ausländische Städte, gibt viel aus und lernt wenig. Dann leben sie weiter – manche ohne je wirklich das Leben zu genießen.
Viele Männer entfernen sich ganz von ihren Frauen. Tagsüber widmen sie sich ihren Geschäften, abends sitzen sie im Wirtshaus, während die Frau sich um Kindererziehung und Haushalt kümmert. Gelegentlich erhält sie Besuch von anderen Frauen oder Töchtern. So lebt ein großer Teil der wohlhabenden oder angesehenen Gesellschaft. Im Allgemeinen kümmert sich der Vater wenig um die Erziehung der Kinder; das überlässt er der Frau oder denkt kaum daran.
Die beiden Töchter des Hauses, beide mit viel Vermögen ausgestattet, sind seit einigen Jahren verheiratet. Die jüngere Tochter, die zu meiner Zeit ein fröhliches und liebenswertes Mädchen war, heiratete einen Arzt, der sich von seiner ersten Frau scheiden ließ. [Verena Jenny-Streiff heiratete Johann Jakob Jenny.] Man sagt, er habe seine erste Frau grausam behandelt. Noch heute fragt man sich, auf welcher gesetzlichen Grundlage er sich auf eigenen Wunsch von ihr trennen konnte. Laut Erzählungen soll auch seine zweite Frau, Verena, ein sehr unglückliches Leben geführt haben. [Genealogische Quellen zeigen, dass sie sogar viele Jahre getrennt lebten.]
Die andere Tochter [Susanna Dinner-Streiff] ist mit einem reichen Kaufmann verheiratet, der die Hälfte des Jahres in Italien in seinem Handelshaus verbringt. Auch sie hat also wenig von einem gemeinsamen Leben und ist durch diesen „Halbwitwen“-Zustand gezwungen, die Kinder alleine zu erziehen.
Der älteste Sohn des Hauses [Friedrich Streiff] ist im Dorf selbst verheiratet.
Die drei jüngeren Söhne, Conrad, Johann Heinrich und Adolf, leben in Zürich.
Auch der Bruder der Hausherrin, mein Schwager Johann Heinrich Schindler, kam im Gespräch zur Sprache. Man erwartete, dass er den Winter wieder in Mollis verbringen würde – und hoffentlich länger als bisher, was man sich sehr wünschte. Zudem war das Leben in Mollis für ihn weitaus günstiger als in Zürich.
Auch über den Rest der Familie wurde gesprochen.
Vetter Conrad Schindler kam ebenfalls zur Sprache. Er führe ein ruhiges Leben und gehe seinen eigenen Weg. Man war mit mir einer Meinung, dass er für einen jungen Mann sehr ernst sei und zu wenig Lebensfreude zeige. Bisher habe er noch keinen rechten Fortschritt gemacht. Über seine Verlobung verrieten sie nicht viel, außer dass das Mädchen sehr lieb sei.
Die wenigen angenehmen und vertraulichen Stunden, die ich mit dieser klugen und entschlossenen Frau verbrachte, gaben mir neue Kraft. Um halb vier (15:30) verabschiedete ich mich von diesen freundlichen und großzügigen Menschen – bis zu einem nächsten Wiedersehen.
Natürlich stammt das, was ich hier über ihre Töchter berichtet habe, nicht aus unserem Gespräch an jenem Nachmittag.
https://niederurnen.opendi.ch/S/schlittler/ (21; ik heb de meeste ingetekend)
https://niederurnen.opendi.ch/S/schindler/ (2; ingetekend)
https://niederurnen.opendi.ch/S/steinmann/ (32), ik tekende er maar een paar in
Niederurnen: 30 juli 1854, 4 en 17 augustus 1854:
Schittler-Zwicky, Anna (1808-1873)
Schlittler, Fridolin (1802-1864)
Niederurnen : 27 juni 1854
Schindler-Schindler, Anna Katharina (1772-1858) Woonhuis Hertenacker
Schindler, Johann Melchior (1765-1832)
27. Juni 1854:
Dann machte ich mich erneut auf den Weg, um weitere Familienbesuche zu machen. Dieses Mal war Frau Base Kriegsräthin an der Reihe. Sie ist eine 82-jährige Dame, die an einem schweren Leiden am Bein erkrankt ist. Sie hört sehr schlecht und wurde vor einigen Jahren erfolgreich am Grauen Star operiert. Grau und gealtert lebt sie mit einer alten Dienstmagd in einem großen, gut ausgestatteten Haus. An Geld und Besitz ist sie reich – nicht jedoch an Zufriedenheit und Glück.
Ich wurde mit besonderer Herzlichkeit empfangen. Nachdem sie mir – wie zu erwarten – zunächst als Arzt eine ausführliche Schilderung ihrer Beschwerden und Leiden gegeben hatte, sprachen wir über die Familie und über vergangene Zeiten. Trotz ihres Alters und ihrer Gebrechen besitzt sie noch immer einen wachen und scharfen Verstand.
27. Juni 1854:
Neben ihrer Tür wohnt mein früherer Freund und Vetter S. (Kaspar), den ich anschließend besuchte. Von ihm erfuhr ich wieder viel über seine Familie, insbesondere über seinen Bruder (Konrad), mit dem ich im Jahr 1825 eine überaus angenehme Reise durch die „Urkantone“ – Uri, Schwyz, Obwalden und Nidwalden – unternommen hatte.
Sein Bruder ist vor einigen Jahren verstorben, nach zwei Ehen, und hinterließ eine Witwe sowie sechs Kinder. Vetter S. wirkt nun als Vormund für sie. Wir sprachen noch über viele Dinge von vor dreißig Jahren, da wir uns bei meinem letzten Besuch vor siebzehn Jahren nur wenig gesehen hatten.
30. juni 1854
Deutsche Übersetzung:
Beim Herrn S. (Steinmann), Strohhutfabrikant, war die Freude groß, mich nach Jahren wiederzusehen. Gemeinsam erinnerten wir uns an frühere Begegnungen, und diese Erinnerungen waren für uns alle nach wie vor sehr angenehm. In ihrem Haus wohnte auch ihre Schwester, deren Mann heimlich nach Kalifornien abgereist war und Frau und zwei Kinder zurückgelassen hatte.
Ohne dass ich es bemerkte, hatte man einer Frau mitgeteilt, dass ich sie wieder einmal besuchen würde. Früher war sie ein überaus reizendes Mädchen gewesen. Auch sie war von ihrem Mann verlassen worden, der ebenfalls nach Amerika gegangen war, nachdem er hier mehr Schulden als Vermögen hinterlassen hatte. Er hatte ein großes Kapital in der Fabrik verloren, und da ihre Familie sich weigerte, weiter für ihn aufzukommen, war er geflohen.
Der Schmerz und die Trauer standen ihr noch immer ins interessante Gesicht geschrieben. Beide Frauen hegten noch die Hoffnung, ihre Männer eines Tages wiederzusehen. Während dieses Besuchs hörte ich, dass in diesem Land viele Ehen manchmal wegen Kleinigkeiten geschieden werden – für mich ein Hinweis auf einen Mangel an tieferem moralischen Empfinden. Nach einigen Stunden voller Erzählungen und Zuhören nahm ich Abschied.
4. August:
Bei unserem Hutfabrikanten, Herrn S. [Steinmann], musste ich Wein und Kaffee trinken. Da seine Frau nicht zu Hause war, musste ich versprechen, später noch einmal wiederzukommen, um mich zu verabschieden. Unser Gespräch drehte sich wieder hauptsächlich um die Leichtfertigkeit der Männer, die ihre Frauen einfach verlassen und nach Amerika oder Australien auswandern.